Die Ausstellung bike in head versammelt künstlerische Positionen, die das Fahrrad als Verkehrsmittel, als Status und Statussymbol und als beste menschliche Fortbewegungsart analysieren. Während Fahrräder in der Kunstgeschichte immer wieder als besondere Objekte zum Thema der Kunst geworden sind, zeigt bike in head, was das Fahrrad gesellschaftlich und lebensphilosophisch bedeuten kann. Der japanische Künstler Kosuke Masuda etwa nutzt traditionelle Tuschezeichnung, um in einem Atemzug je ein Bild zu entwerfen, das immer um das Radfahren kreist. Die Bewegung des Geistes, synchron mit dem Atem, wird zur Bewegung der zeichnenden Hand, die alles in die Darstellung einer selbstbezogenen, sich selbst reproduzierenden Fortbewegung überführt. Und diese bietet für die menschliche Wahrnehmung der Umgebung eine ideale Geschwindigkeit und einen perfekten Rhythmus. Über die Serie von über hundert solcher Zeichnungen vermittelt sich eine ganze rad-basierte Welterfahrung.
Wenn Jens Weyers Fahrräder, die seit Jahren eine besondere Verbindung zu ihren Besitzer*innen bezeugen, wie perfekt ausgeleuchtete Topmodels inszeniert und mittels dieser Oberflächenschönheit all die Gebrauchtspuren der Räder, die uns erst auf den zweiten Blick bewusst werden, als ihr Karma feiert, ist er mit einem formal anderen Ansatz auf einer ähnlichen Spur. Wie Fahrräder andererseits zu inszenierten Statussymbolen einer sich selbst optimierenden Freizeit- und Sportgesellschaft werden, komplett mit eigener Social Media-Ästhetik, greifen Tobias Hübel und Anne Krönker in teils großformatigen Fotos auf, die ebenso ironisch wie fasziniert auf eine Welt mit eigenen Grenzen blicken. Wo dies gelegentlich endet, zeigt Aram Bartholl, der sowohl hippe Gefährte wie E-Roller als auch alte Fahrräder als archäologische Relikte dieser Welt aus der Spree gezogen hat.
Das ambivalente, merkwürdige Verhältnis zum Gebrauchsgegenstand und Verkehrsmittel Fahrrad, das in all diesen Arbeiten ersichtlich wird, spielt für Menschen, die heute ihren Beruf schon auf dem Rad ausüben, eine ganz andere Rolle. Das Kollektiv fahrrad express reflektiert in seinem Zine Grit3000 mit Texten und Bildern über das Radkurierfahren, über die Zumutungen und Belastungen, die Faszination und nicht zuletzt die Genderfragen, die mit dem Fahrradfahren allgemein, mit diesem Beruf im Speziellen einhergehen. Dessen Bedeutung als Sisyphos-hafte Betätigung reflektiert auch Kirsten Pieroth in einem konzeptuellen Kunstwerk, welches das Fahrradfahren als Instrument des Kunstschaffens einsetzt und damit die Wertigkeit des Radkurier-Arbeitens als Wertigkeit eines Kunstobjekts umdeutet.
So kommt das Fahrrad in die Kunst zurück, ohne als skulpturales Objekt verwendet zu werden. Das allerdings macht der österreichische Künstler Hannes Langeder, der sein Fahrrad in der perfekten Nachahmung eines Ferrari-Wagens unterbringt. Dieses Fahrradi Farfalla führt alle Qualitäten des Luxusautos ad absurdum und macht im Kontext des Fahrrads als das zentrale Zukunftsverkehrsmittel auch noch einmal deutlich, dass Radverkehr vorerst nicht zu denken ist, ohne sich vom Auto abzugrenzen und unsere autofixierte Gesellschaft und Verkehrssysteme ganz neu zu denken.
Die Städtische Galerie Bremen liegt direkt am Weserradwanderweg und möchte die Sommermonate nutzen, die Fahrradausstellung direkt er-fahr-bar zu machen und sie mit dem eigenen Rad zu befahren und zu erleben. bike in head zeigt in diesem Kontext nicht ausschließlich künstlerische Positionen, sondern lädt zur Fahrradselbstreparatur ein, verweist auf aktuelles Fahrraddesign aus Bremen und zeigt eine Auswahl an Kurzfilmen zum Fahrrad. Diese wird von unserem Kooperationspartner „Bremen BIKE IT!“ kuratiert, der uns außerdem vor allem hinsichtlich aller Fragen von Bremen als Fahrradstadt unterstützt.
bike in head ist die dritte Etappe im Kooperationsprojekt zum umfassenden Thema des Fahrrads in der Kunst, das mit der Ausstellung Fahrradkörper vom 15. August bis 31. Oktober 2021 in der Städtischen Galerie Delmenhorst bereits Fahrt aufgenommen hat. Es wird mit der zweiten Etappe in der Ausstellung Cyclophilia vom 22. Juli bis 18. September in der Kunsthalle Wilhelmshaven mit einem Fokus auf dem Fahrrad als Performance- und Musikinstrument und mit bike in head in der Städtischen Galerie Bremen weitergeführt und ins Ziel gefahren.
Darüber hinaus will die Städtische Galerie Bremen neben der Ausstellung künstlerischer Positionen in Kombination mit soziologischen Fragestellungen und gestalterischen Konzepten vor allem durch ein umfassendes Veranstaltungsprogramm dem Fahrrad als zentrales Konzept einer sich verändernden Gesellschaft nachspüren und die damit verbundenen Fragen mit der Öffentlichkeit verhandeln. Neben Fahrradtouren inklusive einer Befahrung der Ausstellung sind Filmscreenings, Lesungen und Aktionen im öffentlichen Raum geplant. Dies soll um ein innovatives Vermittlungsprogramm ergänzt werden. In einer zweiteiligen Publikation wird die Ausstellung festgehalten. Der eigentliche Ausstellungskatalog erscheint als dreiteiliges Buchprojekt, das die Etappen der Kooperation zwischen den Kunsthäusern in Bremen, Delmenhorst und Wilhelmshaven dokumentiert. Der Bremer Katalog wird außerdem um eine umfangreichere Publikation ergänzt, in der Fragen des Radfahrens in Bremen in diversen gesellschaftlichen Feldern thematisiert werden.
Mit Werken von: Aram Bartholl, Rainer Ganahl, Grit3000, Anne Krönker / Tobias Hübel, Stefan Jeep, Hannes Langeder, Klara Lidén, Kosuke Masuda, Kirsten Pieroth, Boris Reihle, Jens Weyers, Wolfgang Zach u.a.
Hier finden Sie den Kurzführer zur Ausstellung
Den Katalog zur Ausstellung BIKE IN HEAD finden Sie hier:
bike in head in Kooperation mit Bike it!